Tote Bäume. Waldsterben. Verheerende Zustände.
So oder so ähnlich lauten die Schlagzeilen in vielen Medien, wenn es um den Harzer Wald geht.
Auch viele Besucher:innen und Bürger:innen schauen häufig derart bestürzt auf die vielen Kahlflächen des Mittelgebirges. Das für sie typische Bild des Harzes, bestehend aus riesigen Fichtenwäldern,
ist zum Großteil in kürzester Zeit verschwunden.
Das Fichtenwälder von Natur aus erst in den obersten Höhenlagen ab ca. 700 Metern wachsen und im Harz naturgemäß Laubwälder, vorwiegend bestehend aus Buchen, vorherrschen, davon wissen und sprechen allerdings die wenigsten.
Weshalb prägte die Fichten-Monokultur viele Jahrhunderte den Harz und
wie wird der Wald in Zukunft aussehen?
Warum gibt es im Harz vorwiegend Fichten-Monokulturen?
Um zu verstehen, weshalb im Harz primär Fichtenwälder vorzufinden sind, ist ein Blick in die Historie des Harzes notwendig. Bereits vor 3.000 Jahren, in der Bronzezeit, begann der Harzer Bergbau mit der systematischen Erzgewinnung am Rammelsberg in Goslar. Als der Bergbau vor 1.000 Jahren einen wahren Boom erlebte, wurde reichlich Energie benötigt. Bis zur Nutzung fossiler Brennstoffe war Holz der einzige Energielieferant.
Der immense Energiebedarf konnte somit seinerzeit nur durch das Abholzen ganzer Wälder gedeckt werden. Diese Wälder bestanden vorrangig aus der natürlicherweise im Harz vorherrschenden Baumart: der Buche.
Da Wald eine endliche Ressource ist und nicht schnell nachwächst, wurde der Rohstoff immer knapper und ein Holzmangel folgte. Der Bergbau im Harz endete damit – zumindest vorübergehend. Der Wald erholte sich und wuchs in natürlicher Weise nach.
Doch recht bald, um 1520, erlebte der Bergbau eine Renaissance und aus der Notwendigkeit heraus wurden erneut etliche Buchenwälder abgeholzt.
Wusstest Du schon…?
- Der Begriff „Harz“ kommt aus der Verwendung des „harten Holzes“
- Vor ca. 1.000 Jahren benötigte der Bergbau immense Mengen an Energie,
welche einzig durch Holz gedeckt werden konnte - Zu jener Zeit prägten Buchen natürlicherweise die Wälder des Mittelgebirges
- Buchenholz ist sehr hart
Um nicht wieder in Holznot zu gelangen, begannen die Bergleute neben dem Abholzen des bestehenden Waldes zusätzlich Bäume zu pflanzen. Sie benötigten eine schnell wachsende Baumart, die sich leicht behandeln und für viele verschiedene Zwecke einsetzen ließ. Diesen Anforderungen wurde die Fichte gerecht und somit fiel die Entscheidung auf diesen Nadelbaum. Widerstandsfähige Mischwälder wurden somit durch eine Fichten-Monokultur ersetzt.
Neben dem eigenen Bedarf war der Harz nach dem 2. Weltkrieg als Teil der britischen Besetzungszone dazu verpflichtet, Reparationen in Form von Holz zu leisten. Auch hierfür wurden aus der Notwendigkeit heraus erneut reine Fichtenwälder gepflanzt.
Welche Nachteile birgt eine reine Fichten-Monokultur?
So viele Vorteile die Fichte im Hinblick auf Wachstumsgeschwindigkeit, Pflege und Einsatzzwecke besitzt, so problematisch ist ihr Anbau dort, wo sie nicht ihr ökologisches Optimum besitzt. Denn das Wachstum eines Baumes wird maßgeblich durch seinen Standort (Klima und Boden) beeinflusst. Wird die Fichte an Standorten gepflanzt, die nicht natürlich für sie sind, werden ihr ihre Nachteile zum Verhängnis.
Die Schwachstellen der Fichte:
- Stabilität:
Fichten sind Flachwurzler, d.h. sie bilden ihre Wurzeln tellerförmig nur in den oberen Bodenschichten aus und werden somit bei stärkerem Sturm schnell umgeworfen. - Nährstoffversorgung:
Fichtennadeln bilden eine schwer zersetzbare Humusschicht. Die darin enthaltenen Nährstoffe werden somit dem Nährstoffkreislauf entzogen bzw. nur sehr schwer zugänglich. - Abwehrkräfte:
Die Fichte bevorzugt kalte und sehr feuchte Standorte. In trockenen Jahren sind die Bäume besonders stark geschwächt und somit anfällig gegenüber Schädlingen.
Warum sind derzeit im Harz so viele abgestorbene Bäume zu sehen?
Den ökologischen Herausforderungen der letzten Jahre konnte die Fichte nicht mehr Stand halten. Witterungsextreme wie Stürme, Trockenheit, sehr nasse Perioden sowie die Erhöhung der Durchschnittstemperatur im Zuge des Klimawandels führten zu dem heutigen Harz-Bild.
Insbesondere Sturm Frederike in 2018 hatte zahlreiche Bäume umgeworfen und gebrochen. Im gleichen Jahr kam es zu einem Dürre-Sommer, wodurch der Bodenwasserspeicher nicht ausreichend gefüllt wurde. Auch im Folgejahr fiel die Niederschlagsmenge deutlich zu gering aus. Die Wasser- und Nährstoffversorgung der Fichte war nicht mehr gewährleistet und der Prozess zog sich bis 2020 fort.
Seinem Namen macht der Buchdrucker alle Ehre: Das Fraßbild des Fichten-Borkenkäfers ähnelt stark dem Buchdruck.
Äußerlich gesund aussehende Bäume waren somit dauerhaft an den Wurzeln beschädigt.
Letztlich war diese Situation ein – im wahrsten Sinne – gefundenes Fressen für den wärmeliebenden Fichten-Borkenkäfer, den sog. Buchdrucker. Als Geruchsjäger versucht er, die Fichtenrinde anzubohren. Insbesondere geschwächte Bäume sind dabei eine leichte Beute für ihn.
Wird ein Baum vom Käfer befallen, versucht der Baum zunächst, die Wunde mit Harz wieder zu schließen und den Käfer somit zu ersticken. Ist der Harzfluss aber nicht mehr gegeben, hat der Baum verloren. Dann bahnt sich der Käfer seinen Weg unter die Rinde ins sog. Kambium.
Diese für den Baum notwendige Schicht zum Transport von Nährstoffen und Wasser nutzt er, um sich zu vermehren und zu einem fertigen Käfer zu reifen. Der nur wenige Millimeter große Käfer vermehrt sich dabei exponentiell schnell und zerstört somit rasant das komplette Leiterbahn-System einer Fichte.
Unter den gegebenen, klimatischen Bedingungen der letzten Jahren konnte sich der Baum-Schädling demnach massenhaft vermehren und die Fichte fiel ihren Schwachstellen zum Opfer. Deshalb prägt seit einigen Monaten ein neues Waldbild den Harz: mehr Weite, mehr Helligkeit, viele Kahlflächen und Silhouetten abgestorbener Fichten.
Wie wird der Harzer Wald in Zukunft aussehen?
Doch der Wald ist definitiv nicht tot!
Auch der Borkenkäfer ist kein „Totengräber“, sondern vielmehr als ein „Geburtshelfer“ für einen neuen Wald anzusehen!
Der nun vermeintlich „tote“ Wald steckt voller Leben und ist immens wichtig für unsere Umwelt und die neue Waldgeneration. Abgestorbene Bäume oder ihre Teile, das sog. Totholz, sind für das Biotop und den Artenschutz von besonderer Bedeutung:
- Es bietet Wohnraum für Insekten.⠀
- Kleintiere finden Schutz vor hungrigen Feinden.⠀
- Für Pilze und Kleinorganismen bildet es eine wichtige Nahrungsgrundlage.⠀
Die vielen toten Bäume im Harz bedeuten demnach auch Leben.
Das Totholz als Lebensgrundlage ebnet somit den Beginn eines Wandels im Wald. Der Wald wird an diesen Stellen artenreicher, vielseitiger und robuster als zuvor.
Daneben lassen die entstandenen Lücken mehr Licht auf den Boden, sodass sich Laubbäume aus Samen benachbarter Wälder ansiedeln (sog. Naturverjüngung) oder junge Laubbäume gepflanzt werden. Bei der Wiederaufforstung wurde der neue Kenntnisstand über das Verhalten der Fichte und das natürliche Waldvorkommen selbstverständlich berücksichtigt.
Der Fichtenwald wird eine starke Veränderung erleben und in Form einer reinen Monokultur
in den Harzer Wäldern nicht wiederkehren.
Die Waldtypen des Harzes (Darstellung zu sehen in der Nationalpark Harz Ausstellung im Kurgastzentrum Braunlage).
Zwar ist und bleibt die Fichte Baum des Oberharzes, da sie ab einer Höhe von ca. 700m von Natur aus wächst.
In Zukunft wird sie allerdings insbesondere in den tieferen Lagen durch jene Baumarten ergänzt bzw. ersetzt, die dort ihr ökologisches Optimum aufweisen. Dies ist zum überwiegenden Teil die Buche. Sie ist sehr konkurrenzstark, deckt viele Standorte ab und erst sehr nasse oder sehr trockene Gebiete werden für sie bedrohlich.
Neben der Buche wurden und werden im Harz auch weitere Laub- und Nadelbäume wie die Douglasie, Lärche und Ahorn gepflanzt. Damit wird der reine Nadelwald zu einem Mischwald aus Laub- und Nadelbäumen „umgebaut“.
Künftig wird es stabile und leistungsstarke Mischwälder im Harz geben.
Langfristig führt dies zu artenreichen, mehrstufigen Wäldern mit mehreren Baumarten jeden Alters. Diese Entwicklung benötigt allerdings Zeit. 30 bis 60 Jahre sind je nach Ausgangslage im Wald mindestens abzuwarten, bei den meisten Baumarten sogar noch viel länger.
Den Waldwandel beobachten:
- Wenn Du Dir ein Bild vom Harzwald der Zukunft machen möchtest, kannst Du dies auf dem WaldWandelWeg Torfhaus.
- Im Rahmen der Initiative „Der Wald ruft“ kannst Du an acht Photospots im Harz die klimabedingten Veränderungen regelmäßig beobachten und visuell festhalten.
- Die Vielfalt der Baumarten kannst Du auch auf Wanderungen Richtung Brocken, Wurmberg oder den Hohneklippen sehr gut beobachten.
Fazit.
Das derzeitige Bild vom Harzer Wald mag für viele Menschen ein trauriges, weil ungewohntes Bild sein.
Allerdings ist der Wald nicht – wie so oft unwissentlich verkündet – tot.
Er befindet sich aktuell in einem Wandel: von einer einstigen Fichten-Monokultur hin zu einem artreichen,
vielseitigeren und robusteren Mischwald bestehend aus Laub- und Nadelbäumen.
Bis wir das Resultat dessen sehen, wird es noch viele Jahre dauern.
In diesen Jahren können wir den spannenden Weg des Wald-Wandels selbst beobachten
und teilweise sogar mitgestalten.
Schauen wir demnach positiv dem neuen Harzer Wald entgegen und tuen unser Bestes,
dass dieser sich so natürlich wie möglich entwickeln kann!
Und jetzt bin ich gespannt…
Hast Du gewusst, dass der Harz natürlicherweise durch Laubwald geprägt ist?
Fällt Dir der „Abschied“ vom reinen Nadelwald schwer?
Wie verfolgst Du den Wandel und konntest Du bereits Veränderungen wahrnehmen?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar und verrate es mir!
Quellen:
Hallo Sarah,
Vielen Dank für die vielen interessanten Informationen zu unserem Wald. Ich habe mich auch schon viel mit dieser Thematik beschäftigt und da liegt meiner Meinung nach der Schlüssel. Manchmal wird durch fehlende Informationen fälschlicher Weise angenommen, das sogar der Nationalpark Harz an der jetzigen Situation unseres Waldes Schuld sei. Das ist natürlich absoluter Blödsinn. Ich sehe es genauso wie du, wir haben die Chance den Wandel des Waldes zu beobachten und ein Teil davon zu werden und das ist auch sehr spannend.
Ich kann den Waldwandel von der Harburg aus sehr gut beobachten. Wir sind ausschließlich von Laub-Mischwald umgeben, der noch gesund ist. Auf der gegenüberliegenden Seite vom Zwölfmorgental sind auch Fichten ansässig, die komplett abgestorben sind. Man sieht eine krasse Trennung von Laub und Fichtenwald. Ich bin gespannt wie es weitergeht.
Meine Empfehlung ist, sich mit dem Thema selbst auseinanderzusetzen, dann sieht man die Dinge klarer und bekommt eine offenere Sichtweise.
Liebe Grüße
Marita.
Hej liebe Marita,
es freut mich zu lesen, dass Dir der Artikel gefallen hat. Danke für Dein ausführliches & ehrliches Feedback!
Tatsächlich musste ich auch häufig feststellen, dass in Bezug auf dieses Thema noch sehr viel Unwissenheit in der Gesellschaft (ob Bürger:in oder Tourist:in) herrscht und aus einer emotionalen Stimmung heraus sich eine Meinung gebildet wird. Genau deshalb finde ich es so wichtig, sich mit unterschiedlichen Expert:innen (wie z.B. den Ranger:innen vom Nationalpark Harz oder die Förster:innen der Niedersächsischen Landesforsten) auszutauschen und verschiedene Quellen heranzuziehen, um sich anhand von Fakten ein Urteil bilden zu können.
Seitdem ich mich damit mehr befasst habe, sehe ich den (Harzer) Wald mit ganz anderen Augen und blicke wesentlich positiver in die Zukunft als zuvor.
Liebe Grüße,
Sara
Danke für diesen tollen Artikel, es müsste mehr für getan werden damit unsere Wälder erhalten bleiben. Ich persönlich habe natürlich nicht viel Ahnung über Baumarten, für mich ist es nur wichtig das die Natur kein Schaden nimmt.
Lg Alisa
Hallo liebe Alisa,
da gebe ich Dir absolut Recht. Wir alle müssen viel mehr tun – vor allem in unserem alltäglichen Leben – damit es den Wäldern wieder besser geht!
Wenn Du mehr über die Baumarten im Harz erfahren möchtest, kannst Du gerne bei einer meiner geführten Wanderungen teilnehmen. Ich würde mich auf jeden Fall freuen.
Viele Grüße,
Sara
,. danke für dein Vorschlag.
Wann finden die Wanderungen statt.
Gerne würde ich mehr erfahren.
Lg Alisa
Hallo liebe Alisa,
lieben Dank für Deine Anfrage. Sobald es losgeht, werde ich es hier auf dem Blog und bei Instagram unter https://www.instagram.com/she_wanders/ bekannt geben. Anvisiert habe ich derzeit Herbst/Winter 2022, spätestens im Frühjahr 2023.
Viele Grüße,
Sara
Hi, wir waren vor zwei Jahren auch das erste mal im Harz und haben die riesigen roten Waldflächen gesehen. Bis jetzt hatte ich mir nicht weiter Gedanken drum gemacht. Dank deines Blogs, weiß ich nun auch warum dass so ist. Meine Tochter wird sich über das neue Wissen freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Milan
Hallo lieber Milan,
vielen Dank für diese wertschätzende Rückmeldung! Es freut mich wirklich sehr, dass ich Dir und Deiner Tochter mit dem Beitrag helfen konnte, die aktuelle Lage (besser) zu verstehen.
Wenn Ihr noch mehr über den Waldwandel im Harz erfahren möchtet, könnt Ihr gerne an einer meiner geführten Wanderungen teilnehmen. Ich würde mich auf jeden Fall freuen.
Viele Grüße aus dem Harz
sendet Euch Sara
Hui, da ist ja wirklich alles braun. Welch eindrucksvolles Bild. Ich bin dennoch gespannt was ma ausser der Fichte nehmen kann. Man kann ja kaum mit einer Buche Forstwirtschaft betreiben. Es ist ja alles auf die Fichte ausgelegt.
Lieber Jannes,
in der Tat forciert die Forstwirtschaft an vielen Orten bereits seit Jahren den Waldumbau (z.B. in Form des LÖWE Programms).
Dies hat zum Ziel, die Resilizenz des Waldes zu steigern, die Fähigkeit, sich aus sich selbst heraus zu regenerieren.
Künftig werden Bäume nach einer anderen Logik gepflanzt: Welcher Baum wo entstehen soll, erfolgt konsequent auf Basis der Standortskartierung inkl. der Standortwasserbilanzierung. Momentan bilden die heimischen wie auch die bereits eingeführten Arten, die sich etabliert haben, die Basis der Wiederbewaldung: Buche, Eiche, Bergahorn, Weißtanne, Lärche, Douglasie, aber auch die Fichte.
Da die Boden-Samenbank noch voll von Fichte ist, muss auf den forstlichen Gebieten demnach aktiv eingegriffen werden, um einen vielfältigeren, klimaresilienteren Wald entstehen zu lassen.
In den Naturschutz-Gebieten wie dem Nationalpark überlässt man diese Arbeit der Natur sich selbst. Da dort keine Forstwirtschaft betrieben wird, regiert hier die Natur und sorgt von selbst für die adäquate “Bepflanzung”.
Viele Grüße,
Sara